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AutorenbildLaura

15. Wir durchqueren Russland - Ein Transit den wir nicht wiederholen.

Auf unserem Transit durch das Land, hält Russland diverse Überraschungen für uns bereit. Allerdings können wir hier nicht von schönen Überraschungen sprechen. Neben bürokratischen Mammutaufgaben, die es zu bezwingen gilt, bleibt aber zum Glück noch etwas Zeit die russische Restaurant- und Café Vielfalt im Wolga-Delta zu entdecken.


goldene Dächer in Astrachan

Die erste Überraschung: Den Bus, den wir von Tiflis nach Wladikawkas, der ersten Stadt auf russischer Seite, gebucht haben gibt es nicht mehr. „No bus. Ytpo.“ schreibt uns die Dame nachdem wir auf der verzweifelten Suche am Busbahnhof ein paar SMS ausgetauscht haben. Morgen brauchen wir aber den Bus nicht mehr, sondern heute um 23:00 Uhr, um möglichst früh an der russischen Grenze zu sein, damit wir bloß keine Zeit des dreitägigen Visa verschenken. Auf Schlaf muss die nächsten Tage verzichtet werden und unsere Anschlüsse müssen wir bekommen. Jetzt geht es bei der ersten von drei Verbindungen schon so los. Kurzdarauf erfahren wir von Leuten am Bahnhof, dass die Linie bereits vor ein paar Wochen eingestellt, aber Tickets scheinbar freudig weiterverkauft werden.


„Bleibt ganz ruhig, nehmt doch einfach ein Taxi.“ höre ich eine überfreundlich gelassene Stimme von der Seite, an der unsere zum Hinduismus konvertierte Gastgeberin mit einem riesigen Porträt ihres Gurus steht. Ich bin jetzt aber gerade dabei völlig vom Glauben abzufallen. Hätten wir nicht noch eine zweistündige Ohm-Chanting-Session eingelegt, zu der wir uns nach mehrfachem verneinen haben breitschlagen lassen, wären wir erst abgehetzt und 5 Minuten vor Abfahrt am total chaotischen Busbahnhof, sondern viel eher. Dann hätten wir auch noch zuvor den alternativ herausgesuchten Bus am anderen Busbahnhof in Tiflis bekommen. Jetzt ist es aber zu spät dafür und ich platze fast, als mir von den vermeintlich nicht materiell lebenden, den ganzen Tag betenden, aber trotzdem schwarz busfahrenden Personen, weil das 0,3€ Busticket zu teuer ist, in aller seelenruhe und überherzlich dazu geraten wird ein Taxi zu nehmen, weil es doch viel entspannter ist und „nur“ 150$ koste. Das ist Reisebudget, mit dem wir beide zusammen sonst eine ganze Woche auskommen, außerdem haben wir für den russischen, sehr wahrscheinlichen Scam-Bus ja schon überteuerte 80$ hingeblättert, die wir sicher nie wieder sehen werden. Uns läuft die Zeit davon und eine total gechillte Gläubige, sowie eine Traube wild rufender Taxifahrer hinterher. Ich muss schreien. Plötzlich ist es still und alle gucken mich an.


Der Russland Transit stresst mich sowieso schon seit Wochen und jetzt so ein Start. Russland ist, wenn wir nicht fliegen wollen, das „kleinste Übel“ und mehr oder minder der sicherste Weg, um weiter Richtung Osten, nach Asien zu kommen.  Aber was ist, wenn sie aktuell vielleicht doch noch ein paar EuropäerInnen für einen „Deal“ brauchen oder wenn wir auch nur unseren Reisepass verlieren. Alle europäischen DiplomatInnen sind ausgereist, somit gibt es auch keine deutsche Botschaft als Ansprechpartner mehr. An Geld kommen wir auch nicht, falls uns die in Tiflis getauschten Rubel ausgehen oder abhandenkommen. Wir sind also komplett auf uns allein gestellt. Zum Glück sind da jetzt gerade aber noch zwei weitere Personen, die mich nach meinem „Angst-Wut-Enttäuschung -Habe ich doch gleich gesagt-“-Schrei anstarren. Die beiden jungen Frauen waren Teil der vorherigen Ohm-Chanting Gruppe im Park. Sie waren nicht nur so lieb, uns bis hier zum Busbahnhof zu begleiten und vergeblich mit uns den Bus zu suchen. Sie haben auch mit ihren Russischkenntnissen mit dem Busunternehmen geschrieben, von dem dann die „tolle“ Antwort kam. In dem Moment ist gerade alles zu viel. Nino, eine der beiden Frauen, schaltet sofort und hält die Taxifahrer auf Abstand. Chris drückt mir eine Flasche Wasser in die Hand und setzt mich mit den Rucksäcken an die Seite. „Ich verstehe das voll und mir geht hier gerade auch alles und jeder auf den Sack. Aber wir sind jetzt in dieser Situation und alle Optionen die sinnvoll überbleiben sind Taxi oder neues Visa für eine der nächsten Wochen, was nicht billiger sein wird. Also Taxi.“ Mit Nino als Übersetzerin treten sie den Fahrern gegenüber. Ein paar wollen nur bis zur Grenze fahren, aber nicht bis zum Busbahnhof in Wladikawkas, die fallen schon einmal raus. Mit den übrigen dreien gehen sie in Verhandlung, wie ich aus etwas Entfernung beobachte. Dann verlässt einer die wild gestikulierende Runde und zwei bleiben über. Schließlich löst sich die Runde in verschiedene Richtungen auf. Ein Taxifahrer geht einfach weg und der andere läuft zu einem großen schicken Van, auf dem groß „Grand-Hotel Wladikawkas“ steht. Ein älterer Mann darin wird geweckt und fährt vor. „Darf ich bitten, Madame? 100$ und viel Beinfreiheit“ grinst Chris mich an.


Einreise mit Überraschungen

Unsere Rucksäcke werden verladen, wir verabschieden uns und die große Seitentür mit den getönten Fenstern fährt elektrisch zu. Wir verstehen zwar kein Wort des älteren Fahrers, aber er dafür auch keines von uns. Wir lächeln gemeinsam und sind zumindest zufrieden, dass wir mit dem Taxi dafür viel schneller an der Grenze sind, als erwartet. Ich überlege, ob wir wohl gleich noch unser Zelt am Busbahnhof aufbauen oder uns einfach in ein Café setzen, da wir nun eine unerwartet lange Wartezeit in Wladikawkas haben werden.


Diese Frage hat sich dann aber schnell erledigt. Chris bekommt seinen Einreisestempel recht schnell. Ich muss jedoch erst noch Fragen zu meinem Beruf beantworten, dann noch warum wir durch Russland reisen und plötzlich heißt es: „Folgen sie bitte der Grenzbeamtin.“ Zuerst machen weder Chris noch ich mir große Sorgen. Sicher ein Routinecheck nach Zufallsprinzip. Nach vier Stunden warten ohne mit jemand offizielles gesprochen zu haben oder überhaupt erfahren zu haben, was genau los ist, werde ich zunehmend nervöser. Besonders als ich mit Erschrecken feststelle, dass die Tür nach draußen ebenfalls verriegelt ist. Die anderen Wartenden um mich herum sind ausschließlich Ukrainerinnen. Sie müssen ihre Handys abgeben, lange Formulare ausfüllen und ihre Reisepässe werden ganz genau unter die Lupe genommen. Die Stimmung im Warteraum ist dementsprechend zum „zerreißen“. Nach der fünften Stunde erfahre ich, dass es einen Tippfehler beim Geschlecht in meinem Visum gibt. Die russische Botschaft hat „m“ für male/männlich statt „f“ für female/weiblich eingetragen. Ich habe noch unseren eingereichten Visaantrag als PDF auf dem Handy und zeige dem Grenzbeamten den Bogen mit dem von mir richtig angegebenen Geschlecht. Der Grenzbeamte stimmt zu, dass es ein Fehler bei der Ausstellung ist, aber für einen korrigierenden Vermerk und Stempel muss erst der „Big Boss“ kommen. Der kommt aber einfach nicht und keiner möchte die Verantwortung übernehmen.


Draußen warten Chris und Arkadi unser russischer Taxifahrer, die beiden werden nicht müde nachzufragen, was los ist. Arkadi bekommt schon eine Verwarnung, weil er zu oft und zu offensiv nachfragt und meckert. Von all dem bekomme ich drinnen nichts mit. Die beiden werden ebenfalls über den Tippfehler unterrichtet und dass aufgrund dessen Verdacht auf Visafälschung und illegale Migrationsabsicht besteht. Der Verdacht müsse erst geprüft werden. Das klingt nun schon anders, als ein „Tippfehler“. Ob tatsächlich eine Überprüfung stattfindet bezweifeln wir, weitere Unterlagen und Bustickets wollte niemand sehen. Es ging wohl wirklich darum, dass keiner seinen Namen daruntersetzen wollte. Es sind auch verhältnismäßig viele junge PolizistInnen in Ausbildung hier, so wie es scheint, keiner will einen Fehler machen. Arkadi hätte inzwischen eigentlich schon längst Schichtwechsel gehabt und muss das Auto rechtzeitig weitergeben. Er ist aber so lieb und bleibt an unserer Seite. So kommt extra sein Sohn zur Grenze um die Autos zu tauschen. Das private Auto hergebracht nimmt er das Taxi mit.  Wir haben so ein Glück einen absolut gutmütigen und hilfsbereiten Menschen in dem Moment an unserer Seite zu haben.


Plötzlich steht Arkadi neben mir. Ich weiß weder, wie er den ziemlich abgelegenen Raum gefunden, noch wie er es geschafft hat an den Grenzbeamten vorbei zu kommen. Chris meinte, er wäre einfach hinter einem Container verschwunden. Nun hier im Warteraum stehend, stoppt er einen Grenzbeamten erklärt aufbrausend die Situation, wedelt mit den Anschlussbustickets in Wladikawkas und beharrt darauf, dass wir jetzt gehen können. Ich verstehe nicht was er sagt, aber 5 Minuten später habe ich den Stempel mit der Anweisung mich in der nächsten Stadt um ein neues korrektes Visum zu kümmern. Es ist 10.20 Uhr als ich an Arkadis Hand das Grenzgebäude verlasse und die Sonne brennt in den Augen.


Um 11:00 soll drei Orte weiter der Anschlussbus quer durchs Land starten, den wir unbedingt bekommen müssen. Arkadi wird zu „Mikhael Schumakher“, wie er sagt und düst durch die City. Im Stau schreit er durch das geöffnete Fenster die Leute zur Seite, fährt über dunkel orangene Ampeln und zum Schluss bremst er den gerade losfahrenden Bus aus. Wir springen „just in time“ in den Anschluss nach Astrachan. Ich weiß nicht, wie unsere Einreise ohne Arkadi verlaufen wäre. „Das war so vorherbestimmt und ER hat es so eingeleitet“ hör ich in Gedanken die Stimme unserer Gastgerberin im Ohr, während auf das Bild des Gurus gedeutet wird. Ganz so überweltlich möchte ich es nicht sehen, vielmehr stimmt es mich überglücklich, dass es sie überall gibt – Gute Menschen. Wir sind ihm auf jeden Fall unendlich dankbar-unserem russischen Engel Arkadi.


Zwischen Stadtverwaltung und Kuchenstücken

Sonnenaufgang beim Russlandtransit

Auf der Busfahrt nach Astrachan versucheich noch zu realisieren, was gerade passiert ist. Alles fühlt sich an, wie in einem Film. Wir sind froh, dass wir in Astrachan schon ein Hotelzimmer gebucht haben und so fallen wir nach der schlaflosen Nacht und einer tagfüllenden Busfahrt in einem kleinen Sprinter einfach nur noch ins Bett.


Nach einer Schnitzeljagt am nächsten Tag durch vier Ämter und unzähligen Büros für ein neues Visum, können wir endlich die Stadt besichtigen. Ein neues Visum haben wir zwar noch nicht, aber es ist alles soweit vorbereitet und wir können Morgen zur Migrationsbehörde, wo wohl die richtige Abteilung sitzt. Astrachan ist eine Kleinstadt in der internationale Visa normalerweise keine Rolle spielen. Es ist in etwa so, wie wenn ein/eine RussIn oder wer auch immer in unserer Heimatstadt Oberhausen ein Deutschlandvisum beantragen möchte. Das funktioniert ja auch nicht einfach, dass das lokale Rathaus ein Visum ausstellt. Somit ist es ein kleines Wunder, dass ich morgen wohl die Aussicht auf ein neues Visum habe.


So weit wären wir nicht gekommen, wenn uns nicht Menschen, insbesondere Mitarbeitende der Stadtverwaltung geholfen hätten. Zu uns sind die Menschen hier generell sehr freundlich. Sie scheinen sich über die sehr wenigen verbliebenen TouristInnen zu freuen, selbst auf dem Amt. Allerdings haben die Begegnungen für uns fast alle auch einen seltsamen Beigeschmack. In wirklich jedem Gespräch bei dem es zur Sprache kommt, dass wir nach Kasachstan weiterreisen, heißt es von unserem Gegenüber, dass Kasachstan ja auch Russland ist. Kasachstan hat lediglich eine „patriotische Phase“, die auch irgendwann wieder vorbei gehen wird. Wenn wir vermeintlich „normale“ freundliche Menschen so reden hören, macht uns das schon Angst.



Astrachan liegt am Wolga Delta. Das Wetter ist herrlich und nach den bürokratischen To Does können wir die schöne Altstadt den Rest des Tages genießen. Wir schlendern an der Ufer-Promenade entlang und erkunden die kulinarische Vielfalt. Obwohl Astrachan nicht groß ist, kann es mit einigen sehr schönen, feinen Cafés und Restaurants aufbahren. Der Rubel ist seit Kriegsbeginn deutlich gefallen und so sind die Restaurants für uns sehr günstig. Außerdem sind wir nur drei Tage in Russland, da wollen wir so viel wie möglich kosten.  



Eigentlich würden wir unsere Caféerkundung gerne fortführen, aber erst müssen wir ja noch zur Migrationsbehörde. Die BeamtInnen in der Migrationsbehörde wissen schon über unseren Fall Bescheid, trotzdem dauert es vier Stunden bis das neue Visum ausgestellt ist. Somit geht es nach einem Dönerabstecher, direkt zum Bahnhof. Ich bin erleichtert. Nun kann eigentlich nichts mehr schiefgehen. Eigentlich. Von anderen Reisenden haben wir schon gehört, dass sie bei der Ausreise befragt/verhört wurden. Sie hatten uns noch ein paar Tipps mitgegeben. Hierzu gehört unter anderem besser nicht zu sagen, dass wir aufgrund der ideellen Einstellungen nicht Fliegen. Russland ist einer der größten Gasexporteure und ist auf UmweltaktivitInnen nicht gut zu sprechen. Am Bahnhof machen wir noch ein Abschiedsfoto von Russland, vor dem schönen alten Wagon mit goldenen Emblemen, der noch ein wenig an prunkvolle Zeiten erinnert. Dann fahren wir endlich los, raus aus Russland. Ein Verhör stand bei uns nicht an, lediglich eine knappe Befragung und oberflächliche Gepäckkontrolle. Alles geschafft.


mit dem Zug nach Kasachstan

Dann, ca. 10 Min. später kommen zwei Herren in zivil mit Aktenkoffern durch den Gang des Wagons gelaufen.  „Niemze?“ sprechen sie uns eindeutig und direkt an „Die Deutschen?“. Wir sollen Ihnen die Handys geben. Es werden unsere Kontakte durchgescrollt, getätigte Anrufe und WhatsApp Chats kontrolliert. Nummern werden gewählt und angerufen und dann aus dem Anrufverzeichnis gelöscht. Ab jetzt wird sicher überall mitgehört. Es wird in der Suchfunktion nach Schlagworten gesucht, die wir allerdings von Gegenüber nicht erkennen können. Ich hoffe in der Situation nur, dass keiner von unseren aberwitzigen FreundInnen irgendein Putin Meme in irgendeine Gruppe geschickt hat. Auch unsere aufgenommenen Fotos werden kontrolliert. Ein Bild von Chris vor einem riesigen Stöhrkaviar-Werbeaufsteller wird belustigend dem anderen Polizisten gezeigt. Naja, wir lassen uns lieber auslachen, als noch einmal festhalten denken wir und grinsen mit ihnen.


Bei Fotos von uns vor dem schönen alten Gebäude auf dem Marktplatz versteinert sich aber der Blick plötzlich. Es handelt sich um das Rathaus, wie wir dann belehrt werden und auch der Zug mit uns davor zählt zur kritischen Infrastruktur. Beides ist verboten zu fotografieren. Nach der immer aggressiver werdenden Wiederholung der Frage „Warum haben Sie das fotografiert?“ und die immer resignierter werdende Antwort „Als Erinnerung. Wir reisen. Da macht man Fotos von schönen Sachen.“, dürfen wir und damit der ganze Zug schlussendlich weiterfahren. Wir haben den Eindruck, dass diese Kontrolle eher der Machtdemonstration dient, als einer wirklichen Kontrolle. Auch weil die beiden Grenzbeamten bis auf einzelne Worte kein Englisch sprechen und somit nichts lesen können, was in irgendwelchen Chatverläufen steht. Außerdem wird es wohl schwer sein, mit einem Foto von uns vor dem schönen Barock-Rathaus, sowie mit einem Foto von uns vor einem Bahnwagon einen Krieg zu gewinnen. Für uns hat die Einschüchterung aber gemeinsam mit all den Eindrücken davor mehr als gereicht. Wir sind froh Russland hinter uns zu haben. In Kasachstan schauen wir auf unsere Handys und klicken durch die wenigen, willkürlich verbliebenden Fotos. Auch die freudigen Blicke über einen Döner waren wohl zu gefährlich, zumindest das Kaviarbild durfte aber als Erinnerung bleiben.

 

Chris und die riesige Kaviardose

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